Aktion T4 – Aktion Hartz IV – die Wiederkehr der sozialen Pest
Wir müssen noch mal über Faschismus reden. Ich denke: sogar dringend.
...
Die soziale Pest – jener Gemütszustand, der die Vernichtung des Lebens und der Lebendigkeit seines Mitmenschen billigend in Kauf nimmt – steht nicht vor der Tür: sie hat schon längst wieder Fuß gefasst in der Mitte unserer Gesellschaft. Studien dazu gibt es genug – doch sie kommen zu spät, „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ schreitet unaufhaltsam voran – nicht nur in Bezug auf Arbeitslose.
Bleiben wir aber erstmal bei denen. Wissen Sie, was ein Arbeitsvermittler über den Zweck seiner Arbeit äußerte? Er brachte den Sinn und Zweck der ganzen „Reform“ auf einen Punkt (siehe Süddeutsche):
„Wir statten Arbeitgeber mit billigem Menschenmaterial aus“, kommentiert Meisner das, was seine Behörde tut. Als Beispiel nennt er das Weihnachtsgeschäft. „Da ruft ein großes Versandunternehmen aus dem Norden Berlins an: Hey, wir brauchen Leute. Dann trommelt die Agentur in Infoveranstaltungen Leute zusammen, schiebt sie in diese Jobs – obwohl völlig klar ist, dass sie nach dem Weihnachtsgeschäft wieder arbeitslos sein werden.“
...
Die soziale Pest schreitet immer weiter fort, wird Jahr für Jahr schlimmer: die Verlierer der Globalisierung werden Opfer der Verfolgung, als hätten sie selbst es zu verantworten, dass Arbeitsplatzabbau zum probaten Mittel zwecks Steigerung der Aktiengewinne geworden ist. Darf ich jetzt mal ein Zitat bringen?
„In den vielen Pflegeanstalten des Reiches sind unendlich viele unheilbare Kranke jeder Art untergebracht, die der Menschheit überhaupt nichts nützen vielmehr nur zur Last fallen, unendliche Kosten für die Verpflegung verursachen, und dabei ist keinerlei Aussicht vorhanden, daß diese Menschen je wieder gesund und nützliche Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft werden können. Sie vegetieren dahin, wie die Tiere, sind asoziale, lebensunwerte Menschen, dabei sonst in den inneren Organen gesund und können noch viele Jahrzehnte leben. Sie nehmen nur anderen Menschen die Nahrung weg und bedürfen oft der zwei- und dreifachen Pflege. Vor diesen Menschen müssen die übrigen geschützt werden.“
Dieser Text, der ganz und gar den Geist moderner Broschüren aus dem Wirtschaftsministerium atmet, stammt aus dem Jahre 1940 – und beschreibt den Vorlauf zur Aktion T 4: der Vernichtung der Geisteskranken in den deutschen Pflegeheimen (aus: Götz Aly/Susanne Heim, Die Vordenker der Vernichtung, Hoffman und Campe, 4. Auflage 2004, Seite 26
. Die Autoren sehen diese Aktion sogar als Test an, als Vorbereitung zur Massenvernichtung des Holocaust: ein Test, unter welchen Bedinungen das Volk solche „Maßnahmen“ aktzeptiert. Und die Vernichtung fing ganz langsam an:
„Als dann in den letzten Jahren vor 1939 der Ausbruch des Krieges in immer greifbarere Nähe rückte wurde uns bekannt, daß im Reichsinnenminiserium erwogen würde, im Kriegsfall die Insassen der Heil- und Pflegeanstalten für Geisteskranke, Epileptische und Schwachsinnige auf eine stark verkürzte Lebensmittelration zu setzen“ … was bedeutet, „sie einem langsamen, aber sicheren Hungertode auszusetzen“
Erst in Folge dieser Erwägungen wurde dann „vorsichtig vorgefühlt, wie die Innere Mission sich dazu stellte, wenn der Staat die Vernichtung bestimmter Kategorien von Kranken im Krieg … in Erwägung zöge“. (Aly, Heim, a.a.O., Seite 271).
Aly fasst die Quintessenz der Aktion T 4 wie folgt zusammen:
„Im Mittelpunkt des ersten, systematischen NS-Massenmordes stand die Definition der ökonomischen „Nützlichkeit“ eines Menschen.“ (Aly, a.a.O., Seite 26
Der Kern des Holocaustes: die Reduktion des Wertes eines Menschen auf seine betriebswirtschaftliche Ausbeutbarkeit. Oder: die Verdrängung christlicher Urwerte durch die Betriebswirtschaft. Nicht mehr der Mensch steht im Mittelpunkt staatlichen Handelns, sondern der effektive Betrieb. Das Ziel?
„Daß der soziale Status Quo für die breite Mehrheit erhalten oder sogar verbessert werden sollte, indem eine als unbrauchbar definierte Minderheit ermordet oder wenigstens vertrieben wurde“. (Aly, a.a.O., Seite 270).
Damit es 70 Prozent besser geht, müssen 30 Prozent weg. Alte faschistische Lebensweisheit. 70 Prozent fanden die damals gut – und heute wohl auch. Diese Facette des Faschimus wird eher am Rande der Geschichtsschreibung erwähnt, wir mögen lieber die düstere Geschichte vom übermächtigen Lord Voldemort.
Wie liest sich das im Detail?
Nun – ein späterer Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums „verfaßt 1942 einen statistischen Bericht über die erste Phase dieser Morde unter dem Titel „Was ist bisher in den einzelnen Anstalten geleistet, bzw. desinfiziert worden“- „Desinfizieren bedeutet die Ermordung durch Gas.“ Großzügig berechnet er die Einsparungen bis ins Jahr 1951 – durch „Tötung der nicht arbeitsfähigen Kranken (der Statistiker bezeichnet das als „Leistung“) kommen die Einsparungen „an toten Kosten“ bezüglich Essen, Wohnungen, Kleidungen „auf mehr als 880 Millionen Reichsmark“ (Aly, a.a.O., Seite 269″
.
Erstaunlich, wer alles der Entnazifizierung entkommen konnte. Außer den „Stars“ der Bewegung wohl fast alle.
Wird Ihnen jetzt unheimlich?
Nun – wahrscheinlich nicht, wenn Sie zu den gesegneten 70 Prozent gehören, die vom System mit einem unkündbaren Arbeitsvertrag verpflichet wurden – oder wenigstens noch einen Vollzeitarbeitsplatz mit lebensfähigem Gehalt haben. Sie gehören ja zu den Gewinnern. Den „Guten“ – wie auch der Autor dieser Zeilen hier.
Die anderen jedoch müssen sich die Frage stellen: wann greift die soziale Pest wieder soweit um sich, dass wieder „desinfiziert“ wird?
Wann das sein wird?
Nun – die Vorarbeiten zur Aktion T 4 stammen aus den zwanziger Jahren.
„Im Sommer 1939 schrieb der Leibarzt Hitlers, Theo Morell, für seinen mächtigen Patienten ein kleines Gutachten. Er bezog sich auf eine Umfrage, die in den frühen 20er Jahren unter den Eltern schwerbehinderter Kinder in Sachsen durchgeführt wurde. Die Eltern hatten die „rein theoretisch“ gestellte Frage, ob sie „in eine schmerzlose Abkürzung des Lebens ihres Kindes einwilligen“ würden, weit überwiegend mit „ja“ beantwortet“. (Aly/Heim a.a.O., Seite 273)
Ab 1933 kam dann eine politische Bewegung, die dieses kleine „ja“ in die Tat umsetzte.
Was ist also Faschismus?
Die Bewertung des Menschen nach seiner rein ökonomischen Nützlichkeit … mit allen Folgen. Faschismus – ist Betriebswirtschaft ohne Menschlichkeit. Etwas, das ich gerne als „soziale Pest“ bezeichnen möchte.
Kommt Ihnen das bekannt vor – aus den Entlassungswellen der letzten Jahrzehnte?
Wo stehen wir da jetzt gerade? Wann werden wir die Entsorgung unnützen Menschenmaterials intensivieren?
Das möchte ich nun Ihrer eigenen Einschätzung überlassen. Ich möchte dem Souverän dieses Landes nicht in seine Meinungsbildung hineinreden… |