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SPIEGEL: Wir sind auf dem Weg zurück in eine Klassengesellschaft?
Reich: Leider bewegen wir uns wirklich rückwärts, ja. Die Ungleichheit bei Vermögen wächst ständig, aber das noch größere Problem ist die Einkommensverteilung.
SPIEGEL: In den USA nimmt das oberste Prozent der Gesellschaft über 20 Prozent des jährlichen Gesamteinkommens mit nach Hause. Wie konnte es so weit kommen? Der Trend zeichnet sich doch seit Jahrzehnten ab.
Reich: Bei den Vermögen konzentrieren sich sogar über 40 Prozent beim obersten Prozent. Aber bislang wurde nichts gegen diese Entwicklung unternommen, weil wir sie einerseits nicht richtig verstanden haben und die Menschen andererseits immer neue Wege gefunden haben, sie auszugleichen. In den Siebziger- und Achtzigerjahren fingen die Frauen an zu arbeiten und brachten ein zweites Einkommen, ab den Neunzigerjahren haben die Menschen immer mehr Stunden pro Woche gearbeitet und zuletzt dann einfach Schulden gemacht.
SPIEGEL: Die Mittelklasse hat sich also über Jahrzehnte selbst belogen?
Reich: Genau, erst mit der Weltfinanzkrise hat die Öffentlichkeit gemerkt, was für ein riesiges Problem die Ungleichheit ist. Die Banken wurden gerettet, aber Millionen standen arbeitslos und ohne Reserven auf der Straße. Plötzlich dachten viele: Das Spiel ist manipuliert.
SPIEGEL: Die meisten Amerikaner scherten sich bislang wenig um ihren Einfluss und die Bevorzugung der Reichen, solange sie das Gefühl hatten, es selbst und aus eigener Kraft nach oben schaffen zu können.
Reich: Ja, und das hat sich geändert. Früher sagten die Leute: Mir ist egal, was die Milliardäre machen, ich will selbst einer werden. Seit der Finanzkrise aber fürchten viele Amerikaner, dass es ihren Kindern schlechter gehen wird als ihnen selbst. Sie glauben nicht mehr an die wichtigste amerikanische Mythologie: den Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär.
SPIEGEL: Was ist mit der Grundregel der Leistungsgesellschaft: Wenn ich nur hart genug arbeite, steige ich unweigerlich auf?
Reich: Die Leistungsgesellschaft ist nur noch ein Mythos. Viele Menschen arbeiten Vollzeit oder haben sogar zwei Jobs – und sind trotzdem arm. Und sie denken dann: Ich bin nicht gut genug. Während der CEO, der 20 Millionen Dollar macht, sich für ein Genie hält. Das ist doch Wahnsinn.
SPIEGEL: Gleichzeitig können viele Menschen gar nicht so viel arbeiten, wie sie wollen: Sie stecken in unterbezahlten Teilzeitjobs fest.
Reich: Auch dieses Problem ist neu. Inzwischen besteht ein Drittel des amerikanischen Arbeitsmarktes aus Teilzeitjobs, unfreiwillig Selbstständigen und schlecht bezahlten Dauerpraktikanten, die von Monat zu Monat leben. Das führt zu großer Unsicherheit. Und bald wird der halbe Arbeitsmarkt so aussehen. |
[Quelle: DER SPIEGEL, 06.08.2016]
So geht es mit vollgas weiter gegen die Wand.
Es lohnt sich die Ausgabe zu besorgen und das komplette Interview zu lesen.
Robert B. Reich ist Professor für Politikwissenschaften an der University of California und zählt zu den einflussreichsten Intellektuellen der USA.
Er war Arbeitsminister im Kabinett von Clinton.
Reich befasst sich seit Jahrzehnten mit dem Bedeutungsverlust der amerikanischen Mittelschicht.
Dieser Beitrag wurde 1 mal bearbeitet, zum letzten Mal von gastli: 02.11.2016 08:23.
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