Demokratie 4.0
- Der politische Frühling klopft an die Tür
VON MATTHIAS HEITMANN am 11. Dezember 2016
Kolumne: Schöne Aussicht. 2016 war ein Jahr voller politischer Erschütterungen. Doch das muss nicht schlecht sein.
Im Gegenteil: Wir erleben heute erste Anzeichen einer Wiederbelebung dessen, was früher eine lebendige demokratische Politiklandschaft war
Demokratisches Recht: Lautstarker Protest gegen die Verfassungsreform in Italien / picture alliance
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Angst vor Veränderung ist groß
Das politische Europa ist in einem solchen Zustand des Übergangs: Der Eispanzer der Alternativlosigkeit ist löchrig geworden, an einigen Stellen bricht er auf. Es zeigen sich erstaunliche und wenig dauerhafte Blüten, und es bilden sich morastige, unsichere Täler und Untiefen. Doch noch ist unklar, ob dies nur ein kurzes Frühlingserwachen ist. Denn es gibt Kräfte, die versuchen, den Automatismus des Tauens zu verhindern. Sie tun dies, indem sie alles, was nicht aus weißem Schnee oder klarem Eis besteht, als Dreck bezeichnen und die Werbetrommel rühren für die Schönheit, die Verlässlichkeit, die Sauberkeit und die Ruhe der politischen Eiswüste.
Die europäischen Verfechter des politischen Dauerfrosts sind damit nicht unerfolgreich: Ihr Einfluss fußt unter anderem darauf, dass die Zeiten der verordneten Alternativlosigkeit bereits so lang andauern, dass viele Menschen gar keine eigenen Erfahrungen mehr mit politisch lebendiger Wirklichkeit haben. Hier verfängt die Argumentation, derzufolge das Aufbrechen alter Strukturen und Denkweisen unweigerlich die Zerstörung Europas zur Folge hat. Viele wissen nicht, dass lediglich der Eispanzer zerbricht und das eigentliche Europa darunterliegt. Die schockierten Reaktionen vieler junger Briten auf das Ergebnis des Referendums offenbart, wie sehr sie Kinder der Alternativlosigkeit sind und wie fremd und bedrohlich die Erfahrung politischer Alternativen auf sie wirkt.
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