Strubbi Benutzerkonto wurde gelöscht
24.09.2012 ~ 21:28 Uhr ~ Strubbi schreibt:
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RE: Treuhand Thüringen Teil 2 |
Beitrag Kennung: 585044
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Volkseigentum klingt gut. Aber war dieser Begriff überhaupt belastbar?
Natürlich war uns der ideologische Etikettenschwindel bewusst. Von wegen Herrschaft der Arbeiter und Bauern. Aber wem gehörte die DDR dann? Für uns war der Eigentumstitel sozusagen der Ausgangspunkt aller weiteren Perspektiven, wenn die DDR-Bürger nicht einfach nur als Untertanen in die Einheit starten sollten. Deswegen lautete unsere Formel wie in der französischen Revolution oder seit der amerikanischen Unabhängigkeit: One man = one vote. Jede Person eine Stimme = Demokratie jetzt. Und wir haben wieder noch hinzugefügt: One man =, one property - "jedem sein Eigentum jetzt", und zwar ein 16-Millionstel vom Volkseigentum in Ostdeutschland.
. . . quasi als eine Art weiteres Begrüßungsgeld?
Ganz anders. Deswegen die Anteilscheine. Das wären die Anrechtsurkunden gewesen, mit denen die Menschen ihre Wohnungen vom Staat übernehmen oder sich an ihren Betrieben als Aktien hätten beteiligen können oder überlebensfähige Teile in management-buy-out übernommen hätten. Bargeld war dafür grade nicht vonnöten. Warum für etwas bezahlen, was einem als Erbe gehört?
In Veröffentlichungen war damals die Rede von 40.000 Mark pro berechtigtem DDR-Bürger - wie real war diese Summe?
Es war gedacht als Eigentumsanteil, der zu einer Berechtigung fürs Grundbuch und für Investitions-Hypotheken führt. Zur Berechtigung als GmbH-Anteil oder Anteil an einer AG. Erst wenn wieder ein Markt entstanden wäre, mit realen Vermögenswerten, wäre natürlich auch wieder ein Verkauf möglich gewesen.
Noch einmal die Frage: Wie etwas verteilen, das real gar nicht vorhanden ist?
Dieses Argument kenne ich. Auch Thilo Sarrazin hat mir mal gesagt, ja, aber der reale Wert der DDR sei doch höchstens null gewesen. Nur, die DDR-Wirtschaft hatte auch einen großen Vorteil: Sie war letztlich eine reine Naturalienwirtschaft ohne Kapital. Alle Erträge wurden als Verrechnungseinheiten zentral abgeliefert, kamen in den großen Staatstopf und wurden dann irgendwie den Betrieben zugewiesen. Mit realen Werten und Gegenwerten hatte das als In-Sich-Geschäft des "Anschreibens" wenig gemein. In diesem Sinne gab es also auch keinerlei Schuldverhältnisse in Gestalt realer Schuldscheine gegenüber unabhängigen Außen-Gläubigern. Man hätte als unbelastetes Treuhandvermögen starten können. Wir führten damals in der Schweiz Gespräche mit der japanischen Nomura-Großbank. Als die das hörten, dass es noch keinerlei Hypotheken gibt, waren sie hellwach und an dieser Opportunität interessiert am Investment. So viel zum Thema: wer soll den Neubeginn bezahlen. Naturalwert zwar null, Kapital-Belastbarkeit des neuen Eigentums - sehr wohl positiv. Und: Als Eigentümern hätte die Bundesregierung ihren neuen Wählern die gleichen Subventionen kaum vorenthalten können, wie sie später real geflossen sind als Steuerabschreibung (sog. Sonder AFA´s) beim Grundstückserwerb oder als Investitionszulage (GA), zeitweise bis 50 % der Privat-investition.
Und warum hat es dann nicht geklappt? Hatten die neuen westdeutschen Herren Bammel vor der Macht so vieler ostdeutscher Miteigentümer?
Dafür muss man sich halt noch einmal die Entwicklungen in der DDR im Frühjahr 1990 vor Augen halten. Einerseits war für Bonn die Ostwirtschaft synonym mit dem alten politischen System (von dem wir sie ja gerade abkoppeln wollten) eher etwas Fremdes, keinesfalls zu unterstützen.
Die DDR lag ja noch in den Händen der alten Regierung, die allerdings bereits die Volkskammerwahlen am 18. März vor Augen hatte. - An diesem Tag sollten die Eigentums-Anrechtsscheine wie Erbscheine ausgegeben werden. Und obwohl der Runde Tisch einstimmig dafür war, wurde es dann doch nicht gemacht. Sie haben unsere entsprechenden Paragrafen gestrichen. Übrig blieb (auch unter de Maizière) die (Un-)Treuhand, wie wir sie später zur Genüge schmerzhaft erfahren mussten.
Die Bundesregierung, die nicht weniger als "blühende Landschaften" versprochen hatte, hätte ein Regierungsprogramm zum "wie nun im Einzelnen die Systemtransformation umzusetzen wäre" auflegen müssen. Eine Vielzahl von Antworten auf Probleme wären nötig gewesen, wie internationale Investoren im globalen Wettbewerb um Kapital zu stimulieren wären, statt dem Preisverfall im closed shop des ersten Treuhandjahres zuzuschauen. Kompensation der rein politisch begründeten Währungsaufwertung um 440 Prozent durch Anpassungs-Strategien, zukunftsorientierte Marketings-Bindungsstrategie zur Rettung der wegbrechenden traditionellen Ostmärkte usw.
Stattdessen kam lediglich Thilo Sarrazins Entwurf einer Währungsunion zum Zuge, was sich als populistisches Wahlkampfprogramm für Helmut Kohl ideal eignete. Dutzende anderer notwendiger Sachlösungs-Strategien unterblieben. Und das, obwohl man zweifelsfrei wusste, dass durch die D-Mark über Nacht zwei Drittel der DDR-Wirtschaft sofort zahlungsunfähig werden würden.
Was vermuten Sie - böse Absichten, Gedankenlosigkeit. Nahm man den endgültigen Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft billigend in Kauf?
Zumindest wurde der Sachverhalt des grob fahrlässigen Handelns für alle Treuhandmanager verantwortungs- und straffrei gestellt, ein historisch unglaublicher Vorgang, wodurch der versteckten Bereicherung Dritter statt der Wahrung des Volksvermögens Tür und Tor geöffnet wurde.
Übrigens hatte unser Konzept der Korruptionsgefahr die Einrichtung einer unabhängigen Ombudsmann-Instanz entgegengestellt. Wir hatten dafür in Genf die Zusage des Lutherischen Weltbundes erwirkt, der gerade große internationale Konflikte geschlichtet hatte.
Ich spreche dennoch Bundeskanzler Kohl nicht ab, dass er in Patriotismus handelte.
Alles andere außerhalb der Eigentumsfrage, was man mit Steuergeldern im Aufbau-Ost-Programm alles anschieben konnte (Infrastruktur zur Schiene, Straße und bei der Stadtsanierung) Umwelt-, Braunkohle- oder Uransanierung, ist ja auch eine Erfolgsstory geworden. Auch die Rechts- und Bürokratietransplantation im Einigungsvertrag hat sehr rasch funktioniert, hierbei hätte man sich allenfalls Entbürokratisierungs-Ausnahmeklauseln gewünscht. Sogar die damalige Rentnergeneration kann sich zu den Gewinnern zählen, so wie alle Sozialtransfers akzeptabel bemessen wurden.
Tschechien hat Anteilscheine ausgegeben. . .
Slowenien auch. Mit dem Abstand von 20 Jahren sieht man natürlich einiges nüchterner. Vieles wäre anders gelaufen, es hätte Einkommenseinbußen gegeben. Mit dem Unterschied, dass der Steuerzahler jedoch viele, viele zig Millionen gespart hätte, die die vermeidbaren Treuhand- und die Kompensations-Transfers gekostet haben. Slowenien hält inzwischen durchaus mit Ostdeutschland mit, gemessen am EU-Durchschnitt.
Wie haben Sie selbst Ihr Scheitern damals verkraftet?
Mit vielen Schmerzen wegen der Machtlosigkeit der Vernunft. Die Ignoranz hat sehr wehgetan. Wenn man nur 2 und 2 zusammenzählte, war das Desaster vorhersehbar. Man hat es gesehen und hätte es anders machen können. Aber mit dem Wahlkampf vom Frühjahr 1990 hatten die Ostdeutschen ihre Souveränität quasi schon verloren. Wir haben damals noch plakatiert mit den Anteilsscheinen und waren auch in Funk und im Fernsehen. Gebracht hat es nichts mehr. Dafür war das Volkseigentum in privater Bürgerhand dann wohl doch zu abstrakt gegenüber der Begierde nach der D-Mark. Dass diese dauerhaft nicht als Lohn gezahlt werden konnte, wurde verschwiegen.
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