FAUSTS ENDE - Hat Faust die Himmelfahrt verdient?
Zu Beginn des ersten Teils lernen wir Faust als einen von Wissbegierde und grenzenlosem Tatendrang getriebenen Menschen kennen, den es danach drängt zu erkennen, "was die Welt/ Im Innersten zusammenhält" (V. 543). Den Vertrag mit Mephistopheles, der ihm die Erfüllung seines Wunsches nach höchster Lebenintensität verspricht, bekräftigt Faust abschließend mit den Worten:
"Werd' ich zum Augenblicke sagen:<
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
dann will ich gern zugrunde gehn!" (1699-1702)
Aber hier muss man genau hinhören: Dieser Augenblick ist ein konjuktivischer ("dürft ich ... sagen"), keine reale Gegenwart, vielmehr ein utopischer Entwurf. Dieser Augenblick umgreift den Soll-Zustand einer Gemeinschaft, welche zwar glücklich, aber nicht satt, faul und wohlgefällig ist, vielmehr tätig, tapfer, gemeinsinnig und immer in ihrem Bestand gefährdet! In dieser Vision hat sich Faust zur höchsten Erkenntnis emporgearbeitet, derer er fähig ist, nämlich zum Gegenentwurf seines eigenen bisherigen Daseins: Statt Alleinanspruch des genialen Einzelnen nun die Gemeinschaft der Freien, statt Befreiung aus allen (religiösen, moralischen, wissenschaftlichen) Bindungen nun die bedingte Freiheit in der Unterordnung unter das Gemeinwohl; und schließlich statt ewiger Unzufriedenheit mit sich und der Welt nun die einsichtsvolle Zufriedenheit des sich immer strebend Bemühenden.
In diesem Plan ist der Mensch von Grund auf gut, als Ebenbild Gottes trägt er Göttliches in sich, möge dies nun "Urquell"(324), "Liebe" (347) oder das "Ewig-Weibliche"(12110) genannt werden. Er ist auch in der Lage, die Widersprüche seiner Seele und seines Daseins, auszubalancieren, aus Vernunft und Gefühl, aus Verstand und Begierde eine fruchtbare Synthese herzustellen. Wenn der Mensch bemüht ist, sich zu vervollkommnen und mit seinen Talenten zu wuchern, so wird dies nicht ohne Anfechtungen des Bösen und gewaltige Irrtümer abgehen, wichtig ist aber, dass der Mensch unbeirrbar an seiner Suche nach einem Höheren, sei es Glück, sei es Erkenntnis, sei es Gemeinschaft, festhält, darin verwirklicht er das Göttliche in sich, verdient sich die Liebe gar von "oben" (11938/9) und qualifiziert sich als erlösungswürdig:
„Wer immer strebend sich bemüht,
den können wir erlösen."(11936/7) |