Die vordere Heinrichstraße, Teil 1/2

Archivar
Die vordere Heinrichstraße, Teil 1

Da ja doch scheinbar ein gewisses Interesse am historischen Gera besteht, möchte ich hier nun einen Anfang machen.

Wohl kaum eine andere Straße in Gera hat ihr Gesicht so oft und so grundlegend verändert wie die Heinrichstraße.

Die Straße liegt in der bereits 1405 urkundlich erwähnten ehemaligen Vorstadt.
Im Jahr 1487 wird erstmals eine Häusergruppe vor dem Badertor (dieses befand sich am Gymnasium Rutheneum, eine Tafel dort erinnert an das Tor) erwähnt.

Durch die Heinrichstraße führte einst die alte Handelsstraße von Regensburg und Nürnberg nach Leipzig.

Auf dem ältesten Geraer Stadtplan von 1686 wird die Heinrichstraße als "Steinweg nach dem Gottesacker" bezeichnet.
Der "Gottesacker" war der neben der Trinitatiskirche gelegene Friedhof, dem einzigen Bestattungsplatz der Stadt Gera.
Noch bis in die 1960er Jahre hinein befanden sich viele sichtbare Gräber auf dem im Volksmund "Knochenpark" genannten Platz.

Erst am 24.4.1839 erhält die Heinrichstraße ihren jetzigen Namen.
Der Name diente der Ehrung des reußischen Fürstenhauses, dessen männliche Teile stets den gleichen Vornamen Heinrich führten.

Am 4.8.1950 wird sie in "Josef-Stalin-Straße" und schließlich am 17.11.1961 in "Straße der Republik" umbenannt
Die Rückbenennung in "Heinrichstraße" erfolgte am 1.3.1991.

Lange Zeit nur eine enge Gasse, entstand im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Stadtbrand von 1780 eine breite Straße, an der in der Folge zahlreiche Bauten entstanden.



Diese frühe Ansichtskarte von 1899 mit Blick zum Museum bietet uns ein interessantes Bild der damaligen Zeit. In dem großen Gebäude links befand sich später das Cafè Meyer, hier allerdings noch eine Werbung für Singer-Nähmaschinen.



Auf dieser Karte mit nahezu identischem Blick (gelaufen 1911) sehen wir, dass die Nähmaschinenwerbung verschwunden ist und nunmehr das Cafè Meyer dort seinen Sitz hat.



Jahre später ist dieses Haus umgebaut. Wir erkennen einen Anbau im Vordergrund, auf dem sich eine Terrasse befindet. Im Vordergrund sind zwei Tanksäulen von BP erkennbar.



Da die Heinrichstraße nun inmitten des Stadtzentrums war, eignete sie sich auch gut für Demonstrationen und Aufmärsche.
Das Bild zeigt den Trauermarsch am 19.3.1920 zu Ehren der im Kapp-Putsch gefallenen Arbeiter.



Im August 1934 fand dieser Umzug statt. Anlass war das Fest der Deutschen Schule, veranstaltet vom VDA (Verein für das Deutschtum im Ausland). Die Aufnahme entstand in Höhe des Hauses Nummer 34.



Marschiert wurde immer, auch zu DDR-Zeiten. Diese leider undatierte Aufnahme zeigt eine marschierende Kolonne (vermutlich NVA), Anlass könnte der 1.Mai sein.



Im Bereich der vorderen Heinrichstraße befanden sich mehrere Gaststätten. Neben dem bereits erwähnten Cafè Meyer und dem Hotel "Goldene Sonne" sehen wir hier das Gasthaus "Zur guten Quelle".



Eine weitere Gaststätte war die "Schankwirtschaft Klotz", im Volksmund auch wegen der resoluten Wirtin "Grobe Hulda" genannt.
Bereits seit 1925 war diese Schankwirtschaft ein Verkehrslokal der NSDAP. Die Karte zeigt einen Entwurf (der später auch umgesetzt wurde) des Geraer Malers Max Hagen.

Damit soll es für heute genügen, zumal mir gesagt wird, dass ich pro Stunde maximal 8 Dateien hochladen darf.
Bei Interesse demnächst gern mehr.
Viel Freude an den doch schon recht alten Bildern!

Quellen: Straßennamen der Stadt Gera, Siegfried Mues; eigene Bilder
Ostthüringer
Danke Archivar, sehr interessant! Klatschen

Bloß das NVA-Bild ist bissel außerhalb der Reihe. Augenzwinkern

Und es müsste zwischen 1952-59 geschossen worden sein. Die NVA gab es ab 52´ und die DDR-Fahnen waren bis 59´ ohne Emblem.
Nachtschicht
Das sind ja phantastische Bilder. Ich habe sie mir heute Nacht immer wieder genau betrachtet.
Die Straße sieht heute völlig anders aus. Einzig das Museum ist noch zu erkennen wodurch man sich gut vorstellen kann, wie es vor dem 2. Weltkrieg dort ausgesehen hat.
Wurde im Krieg dieser Teil völlig zerstört?
Kerstin
Zitat:
Nachtschicht hat am 18. März 2021 um 05:41 Uhr folgendes geschrieben:
Wurde im Krieg dieser Teil völlig zerstört?

Viel stand nicht mehr. Ist auf dem 6.Bild gut zu erkennen.
Super Beitrag Archivar, Geniale Fotos Top
Markus
@Archivar

Entschuldige bitte, dass ich jetzt erst antworte. Ich habe mir gestern Abend bei entspannter Musik aus Tappis Radio (gestern lief die Ostalgiewelle) noch einen Kopf gemacht, wie wir Deinen historischen Fundus am besten präsentieren. Einige Gedanken dazu habe ich gestern gleich noch umgesetzt.

Ich bin begeistert. Deine Bilder zeigen, da sie den gleichen Abschnitt der Heinrichstraße in chronologischer Reihenfolge aus verschiedenen Zeitepochen darstellen, wunderbar die Entwicklung der Straße auf. Deine Beschreibung komplettiert die Veröffentlichung perfekt. Ich bin schon gespannt auf den nächsten Teil.
Aschemännl
Zitat:
HaiMoon hat am 17. März 2021 um 18:47 Uhr folgendes geschrieben:
Die NVA gab es ab 52´ und die DDR-Fahnen waren bis 59´ ohne Emblem.


Die NVA wurde erst 1956 gegründet.
Vorher gab es die Kasernierte Volkspolizei.

https://de.wikipedia.org/wiki/Nationale_Volksarmee
Ostthüringer
Zitat:
Aschemännl hat am 18. März 2021 um 13:01 Uhr folgendes geschrieben: Vorher gab es die Kasernierte Volkspolizei.


Ein Abwasch ...

Das war mir schon bewusst. Mein Vater war 55´ oder 56´ auch bei dem Verein und nutzte seine Mitgliedschaft für einem kleinen Ausflug nach Bad Neustadt an der Saale, wo ihn die Amerikaner freundlichst empfingen. Ja
gastli
Auf dem Foto die Stahlhelme und Uniformen sehen aus wie NVA.


### Themenfremden Inhalt gelöscht
Archivar
Ich sehe das auch so. Die KVP hatte wohl eine etwas andere Uniform.
Dann kann die Aufnahme nur zwischen 1956 und 1959 gemacht worden sein.
Ostthüringer
Zitat:
Archivar hat am 18. März 2021 um 16:44 Uhr folgendes geschrieben: Dann kann die Aufnahme nur zwischen 1956 und 1959 gemacht worden sein.


Stimmt ganz genau. Anhand der Helme auf dem Foto kann man die Zeitspanne gut festlegen. Auf dem Foto sieht man den Helm-Typ M56 und bei der KVP hatten die noch den alten Typ M54.
neubauer
Zitat:
Archivar hat am 17. März 2021 um 18:26 Uhr folgendes geschrieben:

Eine weitere Gaststätte war die "Schankwirtschaft Klotz", im Volksmund auch wegen der resoluten Wirtin "Grobe Hulda" genannt.
Bereits seit 1925 war diese Schankwirtschaft ein Verkehrslokal der NSDAP. Die Karte zeigt einen Entwurf (der später auch umgesetzt wurde) des Geraer Malers Max Hagen.


Wahnsinn.
Man kann sich heute nicht mehr vorstellen, dass ein Gebäude so tätowiert wurde.
Das muss doch ein Fressen für die Russen gewesen sein. Hat man das Haus nach dem Krieg abgerissen?
Archivar
Nein, auch dieses Haus mit der Gaststätte wurde vorgestern vor 76 Jahren von der US Air Force zerstört.
Ich habe noch eine Fotokopie, auf der man die Ruine sieht. Es blieb nur ein Teil der vorderen Fassade übrig. Auf der konnte man noch Fragmente der Beschriftung erkennen.
Benutzername
Danke für die Bilder, sehr aufschlussreich!!!
Archivar
Schön, dass sie dir gefallen.
Danke!